Dienstag, 9. Oktober 2012

Der enge kurze Rock


Zeitlupe
Ich bin jetzt 13 Jahre alt, liebes Tagebuch. Ich habe meine „Tage“ bekommen, stell dir vor. Juhu!! Und Seidenstrümpfe und meinen ersten engen Rock! Die Schneiderin, die näht mir: ein anthrazit -farbenes Kostüm mit großem Kragen und weitem Rock , dann noch ein dunkelrotes Kostüm mit ausgestelltem Rock! Der enge Rock ist gestreift, mit lila, grauen und anthrazitfarbenen Streifen. die Seidenstrümpfe dazu, mit Strumpfhaltern befestigt. Ist das nicht toll, Tagebüchlein? Freust du dich? Die „ Periode“ ist schon blöd, um nicht zu sagen peinlich, einfach – nur- peinlich! Wenn man das sieht!! Beim engen Rock, die dicken Binden!!“
Ich habe zwei gute Freundinnen und bin schon neidisch gewesen, dass mir eine zuvor gekommen ist. Zu meiner Erleichterung bin ich dann immerhin schneller als die Dritte. Plötzlich werden die Jungen interessant, und, scheinbar von einem Tag zum anderen, erscheinen mir manche hübscher und anziehender als andere. Jetzt macht es mir plötzlich etwas aus, neben meiner attraktiven großen Schwester her zu gehen und keine, nicht die geringsten Blicke junger Männer auf mich zu ziehen. Ich falle, von den Größen - und Abenteuer Phantasien der Elfjährigen zum unbedeutenden Dasein einer Dreizehnjährigen. Ich fühle mich wie weder Fisch noch Fleisch, zwischen Baum und Borke. Ich hoffe auf die Zukunft. Werde ich hübsch genug werden? Meine Schwester ist blond.
Tolle Filmschauspielerinnen sind auch meistens blond. Marilyn Monroe z.B., mit der ich kaum einen Film gesehen habe. Ich entdecke Audrey Hepburn und erkläre sie zu meiner Retterin. Sie ist dunkelhaarig wie ich, zart, feenhaft, träumerisch. Auch manchmal geistreich und frech, eigentlich sehr vielseitig. Und, vor allen Dingen, hat sie etwas Kindliches. So darf sie also sein, auch wenn sie dem Alter nach schon heiratsfähig ist.
Der enge Rock gefällt mir eigentlich nicht so sehr, zumal er nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit zuläßt. Aber vielleicht ist es genau das, was ich im Hinterkopf habe: Frauen dürfen sich nur gemessen bewegen, dürfen nicht überschwänglich sein, von Leben und Gefühlen strotzen. Ich gerate in die Nähe meiner Mutter, ihrer Rolle als pflichtbewusste Ehefrau. Meine Mutter ist schon in den Wechseljahren und leidet unter den Mühen des Alltäglichen. Ihre Schwester Eila hilft kräftig bei der Hausarbeit, macht die „grobe“ Arbeit, putzen und waschen. Meine Mutter kocht und kauft ein. Da mein Vater nicht in der Lage ist, ihr zu helfen, werden Getränke usw ins Haus gebracht. Trotz dieser Hilfen wirkt meine Mutter gehetzt. Sie fällt in dieser Zeit auch manchmal vom Fahrrad.
Meine Mutter wird noch wortkarger zu mir, nachdem ihr Beitrag zur Aufklärung meinerseits ein paar grässliche katholische Broschüren sind, die ich als Zumutung empfinde und unter meiner Würde. Ich traue mich aber nicht, es anzusprechen.
Ich toupiere mir die Haare , trage einen blassen Lippenstift auf und biege meine Wimpern mit einer Wimpernzange geduldig hoch, aber auf Familienphotos sehe ich nicht gerade glücklich aus, eher traurig und ein wenig trotzig. Das Leben ist mir noch vor ein, zwei Jahren abenteuerlich und voller Bewegung vorgekommen, jetzt ist es kurz und eng geworden. Ich komme mir lächerlich vor und irgendwie dumm.

Trevira“ heißt der Stoff. Er ist glatt und fühlt sich trotzdem weich an. Ein zarter Glanz liegt darüber. Ich befühle ihn. Es ist ein supermoderner Stoff, künstlich hergestellte Chemiefaser, mit keiner Naturfaser vergleichbar. Modern, das heißt für mich neu, interessant, besonders, auffallend. Breite Streifen verlaufen von oben nach unten. Die Farben finde ich schick, irgendwie elegant. Ich probiere ihn an. Er ist knie kurz und sitzt eng auf der Hüfte. Eine Falte am unteren rückwärtigen Teil lässt ein wenig Beinfreiheit zu. Damit fühle ich mich gleich ein paar Jahre älter. Endlich! Ich bin stolz, gehöre jetzt ein wenig mehr zu den Erwachsenen.
Das Gehen ist gewöhnungsbedürftig. Man muss kleinere Schritte machen. Außerdem gehören unbedingt Nylonstrümpfe dazu, und Pumps, mit kleinen Pfennigabsätzen, oder Ballerinas.
Ich gehe ein paar Schritte, hab ein wenig Angst. Schon sehr neu, dieses Gefühl. Mir fehlt die Bewegungsfreiheit. Ich bin wütend. Muss ich jetzt immer so bescheuert mit kleinen Trippelschritten gehen, nur um dazu zu gehören und den Jungen zu gefallen?


Keine Musik? Keine Bücher?

Sicher hab ich immer noch viel gelesen, Bücher, die im Jung-Mädchen-Kalender „heute, morgen, übermorgen“ der Zeitschrift „Brigitte“ empfohlen wurden, Cili Wethekam und Mary Stolz. Darin geht es schon um erste Liebe, Enttäuschung, erwachsen werden. Ein Buch ist: Liebe hat Zeit, von Mary Stolz. Dort geht es um Probleme des erwachsen Werdens, erste Liebe, Teenager-Bösartigkeit. Das Buch trifft schon den richtigen Ton. Es spricht mich an. Meine Mutter schenkt mir einen Sammelband „Blühendes Leben“, ein wirklich gut gemeintes „Buch für Mädchen von heute“, mit einem Foto von einem hübschen strahlenden blonden jungen Mädchen mit einem Obstkorb im Arm. Obst und Gemüse. Eigentlich sieht sie wie ein perfektes „Deutsches Mädel“ aus, allerdings geschminkt, aber dezent. Und schon eine werdende Hausfrau, oder was soll der Obstkorb symbolisieren? Die „Fülle der Natur“? Dann könnte sie doch auch mitten in einer Blumenwiese sitzen oder so. Geschichten der Weltliteratur, wirklich liebevoll gestaltet und gut gemeint mit viel Verständnis für die Irrungen und Wirrungen der Jugend. Aber irgendwie mag ich das Buch nicht, es ist mir zu schwer. Vielleicht auch zu pädagogisch. Eine Welt, die da aufgeblättert wird, die man aber lieber erstmal, peu a peu, selber entdecken möchte und daraus eine eigene Kultur entwickeln, unvollkommener, freier, frecher. Blödsinn machen, über die Stränge schlagen, albern sein.
Ich klappe das Buch zu und ab damit ins Regal.
Manchmal hole ich mir Bücher aus dem Bücherschrank meines Vaters. Aber insgesamt wird es auch hier enger, die Phantasie streikt und schmollt.

Musik? Was gab es? „Speedy Gonzales“ , Rock’n Roll, Twist. Elvis war irgendwie peinlich, schmalzig.

Love me tender“
Nee, von so einem möchte ich nicht geliebt werden. Was der mit Mädchen vorhat, dafür bin ich noch viel zu jung. Erstmal nur Blicke werfen, sich unterhalten, vielleicht mal ein Kuß.
Elvis ist viel zu heftig. Kann ich mir alles noch gar nicht vorstellen. Ist auch nicht mein Typ.
Dabei ist Rock’n Roll schon toll. Das Tanzen, die Musik: temperamentvoll, amerikanisch, bringt ein super Lebensgefühl in unsere etwas verklemmten Beziehungen zum anderen Geschlecht. Beim Tanzen haben wir viel Spaß und können befreit lachen.

Hinter den Spiegeln

Ich betrete einen großen Saal. Sie sitzt in einer Ecke vor einem Flügel und spielt eine Sonate von Mozart. Ich trete an den Flügel, stütze mich mit einem Ellenbogen darauf und schaue sie traurig an. Sie spielt noch ein wenig weiter, hört dann auf und schaut mich an.
Sie lacht. „Was ist? Was ist dir über die Leber gelaufen? „ „Ich will nicht erwachsen werden. Es ist ungemütlich und blöd. Aber Kind bleiben will ich auch nicht, dann werde ich wie ein Baby behandelt. Das ist genau so schrecklich.“
Sie lacht wieder. „Stell es dir doch einfach so vor: Du kannst jetzt beides. Du darfst noch ausgelassen sein und alles tun, was ein Kind möchte, und gleichzeitig kannst du ausprobieren, wie es ist, erwachsen zu sein. Keiner wird dir das eine oder andere übel nehmen. Spiel doch einfach damit“
Ich schaue sie erstaunt an: „Spielen? Dann halten mich doch alle für verrückt und nehmen mich nicht ernst.“
Ach, Blödsinn, das versteht jeder. Schließlich waren sie alle mal in deinem Alter. Nimm es nicht so ernst, so lange du noch unsicher bist. An einem Tage bist du eine elegante Dame und am anderen Tag die freche Göre“ „Oh ja, Pippi Langstrumpf oder Eva-Lotte und dann Conny Froboess und Audrey Hepburn.“
Ich tanze verklemmt quer durch den Saal in mein Zimmer und probiere verschiedene Posen aus, die mittendrin abbrechen.Mein Spiegelbild versteckt sich.


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